Leute, Leute!

 

Sicherlich gehört zu den spannendsten Erfahrungen einer Reise, Menschen zu treffen. Und auch bei kurzen Begegnungen bleibt oft doch so einiges hängen. Allein in den ersten  beiden Tagen sind wir auf Menschen getroffen, die uns sicherlich aus dem einen oder anderem Grund in Erinnerung bleiben...

 

 

Unsere Ankunft im Motel in Halifax…

 

Ui, denken wir beide, ein Motel, wie in jedem gängigen Roadmovie inklusive dicker Pickups vor den Zimmern – ein Schild: „Bitte mit der Front nach vorne parken.“ Wir treffen mit dem Taxi ein, haben also noch nix, was wir cool vorm Zimmer abstellen könnten.

Okay, zur Anmeldung geht`s ohnehin für jeden zu Fuß. Ein kleiner ziemlich runtergekommener Raum. Wie bei einer Grenzkontrolle hat hier jemand die „offizielle Office“ hinter geteilte Glasscheiben gesetzt und von dort guckt uns ein junger asiatischer Mann entgegen.

Guckt er uns entgegen? Nein, eigentlich schaut er ins Nichts, brummelt seine Fragen nach unserer Reservierung vor sich hin, um dann nuschelnd festzustellen, das gebuchte Zimmer mit Doppelbett gibt’s nicht – Punkt.

Nur noch welche mit Einzelbetten, brummelt er weiter. Auf unsere Frage hin, ob wir gegebenenfalls eine Nacht verlängern könnten, weil wir inzwischen erfahren hatten, dass wir unseren ´Ivo´ frühestens am übernächsten Tag abholen können, grummelt unser etwas dickleibiger, schlecht gekleideter Asiat ein: „Kostet dann 79 Dollar. Euer Preis war ein ´special offer´.“

Noch immer würdigt er uns keines Blicks, schiebt gewichtig ein paar Papiere hin und her, kassiert schließlich noch 100 Dollar Kaution und verabschiedet uns blicklos…

 

Uns bleibt am drauffolgenden Tag die Genugtuung, ihn doch noch ein kleines bisschen ´über den Löffel zu balbieren´, als wir offenbar bei seinem jüngeren Bruder unsere zweite Nacht bezahlen - er kassiert den Sonderangebotspreis.

 

 


 

Gerade haben wir unseren Ivo im Hafen abholen können. Am Ende ist alles so spiegelglatt gelaufen, dass wir uns immer noch die Augen reiben.

Also los, tanken, einkaufen, Gasflaschen füllen. Die Agentur, die die Verschiffung für uns organisiert hat, hat hilfreiche Tipps mitgeliefert – ein großes Gewerbegebiet am Rande von Halifax, in dem alles zu bekommen ist.

Das Gewerbegebiet ist allerdings so groß, dass die Orientierung schwer fällt. Wir biegen falsch ab, landen vor großen Hallen mit leeren Parkplätzen und sehen schließlich doch vor einem der Gebäude einen Transporter und daneben einen Jungen und einen Mann, der uns zu sich winkt. „Hey“, spricht er uns auf Deutsch an, „wo kommt ihr denn her? Was sucht ihr, wie kann ich Euch helfen?“

Unser Schwätzchen mit ihm dauert keine fünf Minuten. Für ihn lange genug, uns seine Mailadresse mitzugeben, eine Einladung zum Essen auszusprechen und uns auch gleich noch zu entschuldigen, weil wir die ja sicher nicht annehmen wollten: „Ihr wollt ja weg von den Deutschen“, vermutet er lachend…

Wir haben die Einladung nicht wahrgenommen. Aber nicht, weil wir von irgendwem weg wollen. Vermutlich kam sie für uns nur einfach noch zu früh auf unserer Reise und wir denken noch zu deutsch, dass wir nicht einfach so, mir nichts dir nichts, bei jemandem einfallen können. Wir üben noch!  

 

PS: ´Braunie´: Noch mal vielen Dank für die Einladung und die nette Begegnung!

 

 


 

Von einer Küstenstraße in Nova Scotia blicken wir auf einen weitläufigen Campground, direkt am Meer. In einer Ecke steht ein einsamer Camper, sonst ist niemand hier. Sieht gut aus, finden wir, biegen ein und werden schon durch die Glasscheibe einer Haustür beobachtet.

Wir halten in gebührendem Abstand zum Haus und im selben Moment öffnet sich die Tür und gibt eine zierliche ältere kanadische Lady frei, die sich auf ihren Stock stützt. Sie begrüßt mich herzlich und ihre Augen lächeln mir entgegen. „Leider“, sagt sie, „der Platz ist offiziell noch geschlossen.

Natürlich könnt ihr trotzdem gerne bleiben!“ Das Problem aber, wir sind gerade erst losgefahren und haben noch keinen einzigen Tropfen Wasser an Bord. Und da ist dann auch leider nix zu machen. Ihr Wasser sei nämlich für die neue Saison noch nicht getestet und abgenommen.

Sie würde uns so gerne den Sonnenuntergang zeigen, wir könnten doch wieder kommen, schlägt sie vor, und lotst mich gleich in ihr kleines schickes Häuschen, um mir noch einen Handzettel mitzugeben. Im vergangenen Jahr seien Menschen aus 18 unterschiedlichen Nationen bei ihr gewesen, erzählt sie stolz. Sie führe nämlich eine Liste, nicht für die Regierung betont sie, nur für sich! 

 

 


 

Der nächste Campingplatz also ist unserer und wir damit in den Fängen des ´Schwätzers´.

Wir sind durch für heute, besondere landschaftliche Reize zählen jetzt nicht mehr und es stört uns auch überhaupt nicht, gleich den Platz neben einem anderen großen kanadischen Mietwohnmobil zu beziehen. Ivo abstellen, unsere Fahrräder aus dem Bett bugsieren (wo sie für die Verschiffung verpackt waren), ein Bier und Feierabend – so der Plan…

Thomas öffnet die Fahrertür und hat ihn sofort an der Backe. Ein freundliches „Hallo“ reicht hier nicht aus. Er kennt sich aus, er kennt ganz Kanada, jede Ecke, jeden Winkel und so plappert er los: „Prince Edurad Island, phantastisch! Kanada ist meins.“ Ob wir Fragen hätten? Wir haben keine und er beantwortet sie alle: „Wenn ihr irgendwo in der Wildnis eine Panne habt, hängt ein weißes T-Shirt an den Außenspiegel der Fahrerseite. Sollte ein Flugzeug vorbeikommen, bloß nicht winken – hahaha – da wedelt der nur mit den Flügeln und winkt zurück. Und die Bären, seid ja vorsichtig…“ Hmm, nickt seine faltige Begleiterin:

“Das hast Du ja gesehen!“ Und er nimmt den Faden gleich wieder auf, merkt nicht, dass wir längst ungeduldig und etwas verzweifelt unser Gewicht mal aufs eine, mal aufs andere Bein verlagern. Vielleicht nimmt er es doch wahr, beschließt aber es zu ignorieren und quasselt weiter über seine Abenteuer. Geschickt zieht er im letzten Drittel des letzten Satzes eines jeden Kapitels noch mal schnell Luft nach, um mit vollen Lungen ohne jedes Satzzeichen gleich im nächsten seiner Abenteuer zu landen.  Er hat gesehen, wie ein Mann von einem Bären zerfetzt wurde, als er seine Frau schützen wollte. „ Macht Euer Lagerfeuer besser ein gutes Stück vom Camper entfernt, Bären können sehr gut riechen und und und…“ Seine Begleiterin hebt beide Arme in die Luft: „Macht Euch groß, wenn ein Bär kommt, bleibt ganz ruhig und geht langsam rückwärts, bloß nicht weglaufen!“

Ach, was weiß er nicht alles über Kanada, setzt der Schwätzer wieder ein, er könne uns die ganze Nacht lang erzählen. Bloß nicht rennen, denken wir, weichen vorsichtig und langsam ein Schritt nach dem andern zurück und verschwinden den Rest des Abends hinter unserem Ivo. 

Er kommt auch nicht mehr um die Ecke, hat vielleicht ja doch was gemerkt?

Am folgenden Morgen verabschiedet er uns dann mit einem letzten wichtigen Tipp: Sollte uns ein Brillenbügel abbrechen, mit Zahnseide und Sekundenkleber könne man jeden Brillenbügel reparieren!

  

Leute, Leute!