Gipfelsturm

 

In Antigua treffen wir einen Franzosen, der uns so begeistert von seiner Vulkantour erzählt, dass wir gleich Feuer und Flamme sind. Ich lass` also alle meine Bedenken hinter mir und sage spontan „claro si“, den Acatagenango hoch wandern und in Zelt und fremdem Schlafsack übernachten. Die Nacht vor unserem Abenteuer dreh` ich mich zigmal im heiligen eigenen Bettchen hin und her und schmiede Pläne, wie ich am geschicktesten meinen Schal um den Kopf wickle, um oben auf dem Vulkan doch in meiner eigenen Wäsche zu liegen…

 

Wie sich schnell rausstellt, sollte das mein kleinstes Problem werden, denn erst heißt`s mal überhaupt nach oben kommen.

 

 7 Uhr am Morgen wir werden in Antigua abgeholt, mit uns im Auto sitzt ein junges Paar aus Mallorca, wir erfahren, zwei junge Argentinierinnen werden noch dazukommen – die Amtssprache dieses mal also ist Spanisch. Und der junge Kerl, der uns abholt, legt gleich mal los. Er sprudelt wie geschüttelter Sekt, wir versuchen erst noch zu folgen, steigen dann aber schnell aus seiner Familiengeschichte, dem Aufbau ihres kleinen „Vulkantour-Unternehmens“ und ihres neuen Erfolgs – Tripadvisor sei dank – aus. Die junge Spanierin bleibt tapfer bei der Sache und kommentiert seinen Monolog jede halbe bis dreiviertel Minute abwechselnd mit einem „claro“ oder „si“ manchmal auch beidem zusammen. Bei 45 Minuten Fahrt hören wir also etwa 41mal „claro“, 43mal „si“, 11 mal „si, claro“ und 27mal „Tripadvisor“, dann ist es geschafft und wir erreichen das Haus der Familie, wo schon ein Frühstück auf uns wartet – der klebrige Tisch steht in einem finstren Raum, Stubenfliegen zieren die Hühnereier, die quasi als Schmuck am Tischende drapiert sind und ich bin gedanklich wieder bei meiner Schalwickeltechnik.

 

Eine Stunde später erreichen wir den Ausgangspunkt unserer „Wanderung“ auf 2400 Meter Höhe, ich hab` großen Respekt, bin aber erstmal noch guter Dinge und es geht los. Der Weg aus Vulkangeröll geht steil bergauf, schon nach Minuten bin ich völlig außer Puste, reden geht nicht mehr und mich beschleichen erste Zweifel. Es geht sich wie im tiefen Sand am Strand weiter steil – und ich meine wirklich steil – bergauf. Die jungen Kücken immer vorne weg und die Alte ächzend hinterher. Sechs Pausen sind unterwegs eingeplant, ich zähle hundert Schritte, schaff mich heftig mit den Wanderstöcken arbeitend auf 97, 98, 99, 100 – und gönn mir meine Verschnaufpause, einen unserer beiden Guides immer an meiner Seite. Bei jeder echten Pause werd` ich mit einem kleinen Applaus und Schulterklopfen von unsrem Jungvolk empfangen und etwa auf halber Strecke denk` ich ernsthaft drüber nach umzukehren.

 

Die, die von oben kommen, machen Mut – nur noch ein Stück gehe es weiter so steil, lügen sie, dann werde es besser. Nach jeder Ecke guck ich aber wieder auf `nen gefühlt 45Grad-Hang… 97, 98… 99… 100! Nach fünfeinhalb Stunden erreichen wir so unser Lager auf 3600 Meter Höhe. Erst noch versperrt Nebel die Sicht auf den aktiven Vulkan Fuego, aber was soll`s, es braucht ohnehin seine Zeit, bis wieder genügend Sauerstoff in meinem Hirn ankommt, um mehr als meinen „Countdown“ zu zählen.

 

 

 

 

Und dann verschlägt es uns gleich wieder den Atem. Der Nebel zieht ab, Fuego grollt ordentlich und spuckt seine erste dicke Rauchwolke in den Himmel, die von mir mit einem super sinnigen „da,da,da…“ begleitet wird. Alle 15 bis 30 Minuten zeigt Fuego, was in ihm steckt – donnert, grollt, bläst und spuckt… „sagenhaft“.

 

 

 

 

Und das Erlebnis wird noch beeindruckender, als es schließlich dunkel wird und die rotglühende Lava so richtig zu sehen ist – nein müde wird man hier nicht. Wir reiben die Kälte aus den Beinen, wärmen Hände und Schlund an einem heißen Kakao, strecken die Füße zum Lagerfeuer und erfreuen uns an unserem ganz persönlichen Feuerwerk.Eins noch, dann legen wir uns hin – er donnert, er grollt, er spuckt und glüht… okay, noch eins, dann geht`s aber ins Bett…

 

 

 

 

Irgendwann krabbeln wir dann tatsächlich, in die von mir so gefürchteten fremden Schlafsäcke – ich wickel` meinen Schal ums Gesicht, mach mich lang und freu` mich an der kuscheligen Wärme. Von draußen ist der Vulkan zu hören, er grollt, donnert und die glühenden Steine sind zu hören, wie sie den Berg runter purzeln.

 

Um 4 Uhr in der Früh ist unsere Nacht vorbei. Wir kriechen aus den Zelten und krönen unser Naturspektakel mit dem Sonnenaufgang. Die restlichen 400 Höhenmeter zum Gipfel unseres Vulkans nimmt nur noch das junge Paar aus Malle auf sich – uns reicht der klare Morgen auf 3600 Meter völlig aus.

 

Feuershow, Sonnenaufgang und Frühstück dann geht`s an den Abstieg. Die junge Spanierin ist völlig platt von ihrem Gipfelsturm, trotzdem geben wir beiden Alten wieder das Schlusslicht. Nur dass Thomas jetzt derjenige ist, der schwächelt. Die Oberschenkel brennen und zittern, die Beine wollen einfach wegknicken… und so legen wir wieder ein paar Sonderpausen ein.

 

Die Rückfahrt nach Antigua übernimmt wieder der jüngste Spross der Vulkan-Tourfamilie. Erst ist er überraschend still, dann gibt Thomas ein Stichwort und es folgt der Monolog auf Spanisch – nur die junge Frau aus Malle spielt dieses Mal nicht mit. Sie lehnt neben mir auf  der Rückbank ermattet an ihrem Freund und verweigert jeden Kommentar. Kein einziges „claro“ oder „si“ ist zu hören. Auch ich bin zu berauscht, um die „tripadvisor“ zu zählen

 

 und frag` mich noch mal, ob ich die 1200 Höhenmeter angegangen wäre, wenn ich gewusst hätte, wie anstrengend das wird.

 

Wenn ihr aber fragt, ob ihr es tun solltet, ist die Antwort eindeutig: Claro und si!